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Nacht über den Wassern
1992 erschienen, aber im Original bereits 1991 geschrieben, spielt zu Beginn des zweiten Weltkrieges, 499 Seiten, als Bastei-Taschenbuch unter der Nummer 25311 für 14,00 DM erhältlich 
 
 Aus dem Inhalt: Sie hatten nun achtzig, neunzig, über hundert Stundenkilometer. Gischt schäumte als geschlossenes, wogendes Weiß vor den Fenstern und verwehrte die Aussicht. Wir werden sinken, explodieren oder aufprallen, dachte Harry. 
Eine heftige Vibration setzte ein, wie in einem Wagen, der über trockene Furchen eines Feldwegs holpert. Was war das? Harry zweifelte nicht daran, daß etwas schieflief und daß das Flugzeug jeden Moment auseinanderbrechen würde. Dann wurde ihm klar, daß es sich zu heben begonnen hatte und wie ein Schnellboot über das Wasser hüpfte. War das normal? 
Plötzlich schien das Wasser weniger Widerstand zu bieten. Als es ihm gelang, durch die Gischt zu spähen, sah Harry die Oberfläche der Flußmündung - sie lag schief. Die Nase des Flugzeugs mußte sich gehoben haben, obgleich er es nicht gespürt hatte. Entsetzliche Angst quälte ihn, und der Magensaft drohte hochzukommen. Er schluckte heftig. 
Die Vibration änderte sich.Statt über Furchen zu holpern, sprangen sie nun scheinbar von Welle zu Welle wie ein Stein, den man flach über das Wasser wirft. Die Motoren heulten, und die Propeller droschen die Luft. Vielleicht ist es unmöglich, dachte Harry; vielleicht kann eine solche gewaltige Maschine sich gar nicht in die Lüfte heben; vielleicht kann sie nur wellenreiten wie ein übegewichtiger Delphin. Dann spürte er plötzlich, Daß das Flugschiff freigekommen war. Es schnellte vorwärts hoch, und Harry fühlte, wie das bremsende Wasser unter dem Flugkörper wegfiel. Die Sicht durch das Fenster war wieder unbehindert von Gischt, und er sah das Wasser in der Tiefe verschwinden, während das Flugzeug an Höhe gewann. Großer Gott, dachte er, wir fliegen! Dieser überladene Luxuspalast fliegt tatsächlich! 
Nun, da er in der Luft war, verließ ihn die Angst, und eine ungeheure Begeisterung erfüllte ihn. Er fühlte sich, als wäre er höchstenpersönlich dafür verantwortlich, daß dem Flugzeug der Start gelungen war. Am liebsten hätte er laut gejubelt. Als er sich umsah, bemerkte er, daß alle vor Erleichterung lächelten; und während er sich der anderen Passagiere wieder bewußt wurde, spürte er, daß er schweißgebadet war. Er holte ein weißes Leinentuch hervor, trocknete damit verstohlen das Gesicht und steckte das feuchte Tuch hastig in die Tasche zurück. 
Das Flugzeug gewann stetig an Höhe. Harry beobachtete, wie Englangs Südküste unter den gedrungenen Flossenstummeln verschwand, dann blickte er nach vorn und sah die Isle of Wight. Nach einer Weile legte sich der Clipper allmählich waagerecht, und das Dröhnen der Motoren wude zu einem beruhigenden Summen. 
Der Steward Nicky erschien in seiner weißen Jacke und der schwarzen Krawatte. Jetzt, da die Motoren gedrosselt waren, brauchte er die Stimme nicht zu heben. "Möchten Sie einen Drink, Mr. Vandenpost?" erkundigte er sich. 
.... 

 (Seite 160/161) 

 Copyright 1992 by Bastei Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach 
 

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