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Die Pfeiler der Macht

1994 erschienen, aber im Original bereits 1993 geschrieben, spielt zwischen 1866 und 1892, 636 Seiten, als Bastei-Taschenbuch unter der Nummer 12501 für 16,90 DM erhältlich 

Aus dem Inhalt: Hugh Pilaster trug eine neue himmelblaue Krawatte im Ascot-Stil mit breitem Knoten, der von einer Nadel festgehalten wurde. Eigentlich hätte er längst ein neues Jackett gebraucht, aber er verdiente nur achtundsechzig Pfund im Jahr, so daß er sich damit begnügen mußte, seine alte Jacke mit einer neuen Krawatte aufzumöbeln. Der Ascot-Stil entsprach der neusten Mode, und Himmelbau war eine gewagte Farbe, doch als er einen Blick in den riesigen Spiegel über dem Kaminsims in Tante Augustas Wohnzimmer warf, sah er, daß die blaue Krawatte und der schwarze Anzug sehr gut zu seinem  blauen Augen und seinem schwarzen Haar paßten. Seine Hoffnung, die Ascot-Krawatte könnte ihm einen eleganten, draufgängerhaften Anstrich verleihen, stieg. Zumindest Florence Stalworthy sollte sie beeindrucken. Mode interessierte Hugh erst, seit er Florence kennengelernt hatte. 
Es war immer ein wenig peinlich, einerseits so wenig Geld zu haben und anderseits bei Tante Augusta leben zu müssen. Aber die Tradition des Bankhauses Pilaster besagte, daß jedermann den Lohn bekam, den er wert war, gleichgültig, ob es sich dabei um ein Familienmitglied handelte oder nicht. Eine weitere Regel lautete, daß jedermann von der Pike auf zu dienen hatte. In Windfield war Hugh ein hervorragender Schüler gewesen, und er wäre Schülersprecher geworden, hätte er sich nicht immer wieder selbst in Schwierigkeiten gebracht. In der Bank galt seine Bildung freilich so gut wie nichts. Er machte eine Banklehre und wurde entsprechend dafür bezahlt. Weder Onkel noch Tante hatten jemals angeboten, ihm finanziell unter die Arme zu greifen - also mußten sie sich auch damit abfinden, wenn seine Kleidung ein wenig schäbig war. 
Hugh interessierte es nicht sonderlich, wie die Pilasters über seine Erscheinung dachten. Florence Stalworthy war es, auf die es ihm ankam. Sie war ein hübsches blasses Mädchen und die Tochter des Grafen von Stalworthy. Doch das Wichtigste an ihr war, daß sie sich für Hugh Pilaster interessierte. Im Grunde war Hugh von jedem Mädchen, das auch nur ein Wort an ihn richtete, sofort hingerissen. Das bekümmerte ihn, bedeutet es doch gewiß, daß seine Gefühle sehr oberflächlich waren. Aber was sollte er dagegen tun? Ein Mädchen brauchte ihn nur zufällig zu berühren, und schon wurde ihm der Mund trocken. Die Neugier, wie ihre Beine unter all diesen Schichten von Röcken und Unterröcken wohl aussehen mochten, bereitete ihm wahre Qualen, ja, es gab Zeiten, da schmerzte ihn sein Verlangen wie eine offene Wunde. Das ging nun schon so, seit er fünfzehn war. Jetzt war er zwanzig, und die einzige Frau, die er in diesen fünf Jahren geküßt hatte, war seine Mutter. 
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(Seite 55/56) 

Copyright 1979 by Bastei Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach 

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